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mikeUnd ich bin es eben doch!

 

Martin, 19 Jahre, Potsdam

Mann liebt Frau und Frau liebt Mann, nichts anderes existierte für mich in der Kindheit. Generell konnte ich mit den Begriffen „schwul“ und „lesbisch“ relativ spät etwas anfangen, zumal diese Begriffe in meinem Wortschatz als „Schimpfwort“ kategorisiert waren. Einen Gedanken daran verschwendet, vielleicht doch auf das gleiche Geschlecht zu stehen, habe ich bis zu meinem 12. Lebensjahr nie, denn für jedes abnormale Verhalten gab es, zumindest für mich, eine plausible Erklärung.  Beim „Mutter-Vater-Kind-Spiel“ erklärte ich mich nur aufgrund der Tatsache, dass es mehr Jungen als Mädchen gab, freiwillig und überwiegend dazu bereit die Mutter zu spielen.

Mit den Barbies meiner Schwester spielte ich nur, weil meine Brüder älter waren und ich nur meine Schwester zum Spielen hatte. Auch hier brachte mich der Fakt, dass, auch wenn niemand in der Nähe war, ich die Puppen frisierte, nicht zum Nachdenken.

Dann kam mit 7 die Schule. Auch hier verhielt ich mich anders, als die anderen Jungs. Trotzdem dort nun gleichaltrige Jungen waren, mit denen ich hätte spielen können, spielte ich mit den Mädchen. Mit den Jungen spielte ich nur in äußerst seltenen Fällen, wenn ich mich, zum Beispiel, mit den bevorzugten Mädchen stritt oder wir auf Klassenfahrten in Jungen und Mädchen aufgeteilt wurden.

Tatsächlich war es dann soweit und ich hatte meinen ersten „besten Freund“. Mit dem ich auch „Jungs-Sachen“ spielte. Die Freundschaft hielt unglaublich lang. Wir unternahmen viel miteinander und übernachteten auch ab und an beieinander.

Mit 10, ich glaube, er war da schon 11, schauten wir bei ihm im Zimmer abends vorm einschlafen Pornofilme, seiner Eltern. Natürlich nur aus dem Grund, dass wir zu zweit waren, und man ja die Augen schloss um sich eine Frau vorzustellen, berührten wir uns. Dieses Spiel ging 2 Jahre so. Bis er dann, seine erste Freundin hatte. Um ihn und den anderen in meinem Alter in nichts nachzustehen, beschloss ich, auch eine Freundin haben zu müssen. Dies geschah auch in Rekordzeit.

Auch mit dem Mädchen kam es zu Zärtlichkeiten und Berührungen an unanständigen Stellen. Doch fiel mir hierbei auf, dass ich auch hier die Augen schloss, um mir jemand anderen vorzustellen - meinen besten Freund.

Weitere Freundinnen folgten und das 'aneinander Rumspielen' wurde noch intimer. Dennoch schaute ich bei Pornofilmen lieber den Mann an und spulte grundsätzlich bei einer „Lesben-Szene“ weiter.

Nicht nur weitere Freundinnen folgten, sondern auch weitere Kumpels. Dadurch, dass wir älter waren, konnte man sich aber auch hier  jedes Benehmen und jede Tat erklären. Das mündete dann in Rechtfertigungen wie „Man ist gerade Single und steht eigentlich auf Frauen“, „Wir waren ja auch betrunken“ oder „War ja bloß einmal“, auch wenn es wöchentlich geschah.

Mit 15 gestand ich mir dann ein, auch auf Männer zu stehen. Das Wort „schwul“ oder „bisexuell“ kam mir jedoch auch hier nicht in den Sinn. Ich sah es wie eine Art Fetisch. Manche mögen es, sich auspeitschen zu lassen, manche stehen auf Füße, manche auf Handschellen, und ich eben auf einen zweiten Schwanz im Bett. Kein ersichtlicher Grund diesen Fetisch öffentlich zu machen. Ich hielt es ja für unmöglich eine Beziehung mit einem Mann einzugehen, es bezog sich lediglich auf das Körperliche. Keine Gefühle, nur der Sex, und wen verdammt nochmal, dachte ich, hat es zu interessieren, was hinter verschlossenen Türen geschieht.

Eine Möglichkeit, meinen Fetisch auf regelmäßiger Basis ausüben zu können, bot das Internet. Durch Internetportale wie „Gayromeo“ und „Flirt-Fever“ traf ich mich regelmäßig mit Männern. Jedoch achtete ich auch hier darauf, mich nie mehr als einmal mit derselben Person zu treffen. Tatsächlich war ich erbost und angenervt, wenn das Opfer sich anschließend noch mal meldete. Wozu sollte ich Kontakt zu schwulen haben, ich bin es ja nicht, dachte ich mir. Wenn für die dieser Akt was bedeutet hatte, dann ist das deren Problem.

Den Weg ins „ La Leander“ fand ich zusammen mit meiner Schwester. Am Abend strich ich wie ein Verrückter um das Café, bis ich den Mut fand, auch alleine reinzugehen.

Da saß ich nun und beobachtete. Blicke anderer ignorierte ich. Bis sich jemand zu mir setzte. Wie ich schnell rausfand, war es der Besitzer, der mir von Projekten und Veranstaltungen erzählte. Auf diesen Veranstaltungen lernte ich Gleichaltrige kennen. Und schon bald ging ich regelmäßig ins La Leander und hatte auch stetig die gleichen Personen, mit denen ich mich unterhielt und sogar außerhalb des „La Leander“ etwas unternahm. Dennoch hielt ich daran fest, dass ich niemals eine Beziehung mit einem Mann eingehen könnte. Ich interessierte mich auch nicht für die anderen. Sie waren für mich wandelnder Sex.

Bis zu dem Tag an dem ich „IHN“ beim Stadtwerkefest kennenlernte. Es war komisch... zum ersten Mal stellte ich „IHN“ mir nicht nackt vor oder überlegte wie groß wohl sein „Zauberstab“ sein wird. Ich wollte „IHN“ lediglich kennenlernen. Was ich auch tat.

Dann ging es los. Ich befand mich in einer mir bis dahin fremden Situation wieder. Ich freute mich über jede SMS, wartete auf einen Anruf, strahlte über beide Ohren nach einem Treffen. War ich verliebt?

Plötzlich tat ich etwas, was ich zuvor nie Tat. Ich sprach mit meiner Schwester über „IHN“. Ich hatte zum ersten Mal das Bedürfnis dieses Glück, was ich empfand, mit jemand anderem zu teilen. Ich stellte „IHN“ ihr sogar vor. Wir unternahmen zusammen oft was. „ER“ kam zu Besuch und ich musste nichts erklären oder Ausreden für „SEIN“ Dasein erfinden, da meine Schwester, mit der ich zusammen in einer WG wohnte, ja bescheid wusste.

In den Sommerferien und kurz vor Schulbeginn auf der neuen Schule war es dann soweit. Wir küssten uns und gestanden uns gegenseitig unser Empfinden füreinander. Ich hatte eine Beziehung zu einem Mann.

Eine Woche später ging die Schule los. Alles war neu und man kannte kaum jemanden. Es war der Beginn der 11. Klasse. Man lernte sich nach und nach kennen. Schließlich kam dann irgendwann die Frage, ob man denn vergeben sei und aus tiefster Überzeugung und aufgrund unglaublicher Glücksgefühle antwortete ich einfach: „Ja. „Er“ ist ein Jahr älter als ich und macht eine Ausbildung bei einem Anwalt.“

Geschafft. Ich stand zum ersten, und, wie die Zukunft zeigen sollte, auch nicht zum letzten Mal zu dem, was ich bin: schwul. Plötzlich gab es keine Ausreden mehr. Ich konnte nicht mehr leugnen, denn ich war verliebt. Ich komme jedoch nicht umhin mich zu fragen, ob ich mich auch ohne „IHN“ geoutet hätte.

Vielleicht sah ich die Tatsache, dass ich verliebt war, später auch liebte, als normal an. Es war keine Perversion, es war Liebe. Liebe ist etwas Normales und aus diesem Grund sah ich mich nicht mehr gezwungen zu verheimlichen. Liebe war mein Weg zum „Coming-out“.


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