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reneBin ich anders?


Martin, 18 Jahre, Thüringen

 

Meine Story, die ich euch nun erzähle begann vor etwa 2 Jahren in Thüringen. Zu dieser Zeit war ich glücklich mit einem Mädchen zusammen. Johanna hatte ein Kind, welches sie mit in die Beziehung brachte. Zu der Zeit lernte ich in Berlin, weit weg von ihr, meiner Familie und meinen Freunden. Dann passierte es. An einem späten Freitagabend ereilte mich eine Nachricht: „Sie ist tot…!“

Johanna starb mit 18 Jahren bei einem Verkehrsunfall und hinterließ ein einjähriges Kind. Ihre Eltern verweigerten mir kurz darauf jeglichen Umgang mit dem Kind. Tief deprimiert verzog ich mich nach Berlin. Den Kontakt zu meiner Familie und zu meinen damaligen Freunden gab ich auf. Ich wollte nicht mehr. Der Schmerz des Verlustes steckte tief in mir. Es tat so weh, ich wollte und konnte nicht mehr. Ich versank in meiner Arbeit. Ich wollte einfach nur weg sein, von dem, was war. Ich hatte das Gefühl, es gibt kein Vor und kein Zurück mehr. Es war still.


Ein halbes Jahr später passierte aber etwas, wovon ich heute noch manchmal träume.
Ich ging auf Arbeit, so wie immer. Es war eigentlich alles so wie immer. Nur da war etwas Besonderes. Als  ich meine Dienstbekleidung in unserer „Umkleide“ anzog, stierte mich ein doch recht hübscher Junge an. Ich genoss es, und wie… Er konnte seine Blicke einfach nicht von mir lassen. Es war einfach nur traumhaft schön. Ich erschrak. Ich konnte einfach nicht mit den neuen "sonderbaren Gefühlen" umgehen. Daraufhin steckte ich ihm ein paar ernste Blicke zu und ging aus der Tür. Ich merkte aber, wie seine eisblauen Augen mir hinterher schauten. Ich versuchte den ganzen Tag, ihn zu vergessen.

„Das kann doch nicht war sein. Wieso fühle ich mich so wohl bei ihm? Wieso ist er so anziehend für mich? Ich kenne ihn doch gar nicht! Bin ich denn jetzt auch noch schwul?“ Tausende Fragen, die mich überrannten. Aber keine Antworten. Ich versuchte ihn und die Fragen zu vergessen.

Dann, am Ende der Schicht sprach er mich an: „Hey, ich bin Frank, komm aus Frankfurt/Oder, und du?“
Ich schaute in seine klaren blauen Augen, es kribbelte durch meinen ganzen Körper. Ich antwortete trocken: „Martin aus Thüringen.“
„Bist du schwul, wenn ich fragen darf" ?
„Ja, darfst du, Nein!“
„Aha, gut, hätte aber kein Problem wenn… Hast du ne Handynummer?“
Obwohl ich ein Handy hatte, hieß die Antwort: „Nein!“

Ich hatte Angst. Ich hatte keine Ahnung, was da mit mir geschah. Wäre das ein Mädchen gewesen, so glaube ich, hätte ich gleich meine Nummer raus gegeben. Aber es ist ein Er, ein Junge. Dieselbe Nacht lag ich alleine in meinem Einzimmerappartment wach. Ich wälzte mich in meinem Bett umher. „Was meine Eltern und meine Freunde wohl denken würden, wenn ich mit einem Kerl auftauchen würde? Ich muss Ihn vergessen!!!“ Das hat auch prima geklappt. Aber dann auf einem Seminar gab mir eine Kollegin eine Nummer auf einem verschmierten Zettel. „Ruf doch mal an, ER würde sich freuen!“, schrie sie durch den Raum. Alle drehten sich um nach mir. „Er, wer ist er? Bist du schwul?“, fragten mich alle. Am selben traf ich mich mit meiner besten Freundin Sandy. Ich erzählte ihr von dem Vorfall auf dem Seminar. Sie riss mir den Zettel aus der Hand und rief die Nummer, die auf den Zettel mit blauem Kuli geschmiert wurd, an. Eine tiefe Stimme meldete sich: „Ja? Wer ist da?“, fragte die Stimme am anderen Ende des Hörers. Sie legte auf.
Als Ergänzung, sie ist lesbisch und wollte schon immer, dass ich es mal mit einem Kerl mache. „Cool, dein erster VEREHRER!“ - „So ein Scheiß.“, haute ich raus, „Das ist doch sicherlich nur kumpelhaft gemeint.“
„Ach so, und dann so ein Spektakel?“ - „Ist doch jetzt auch egal!“ löffelte ich zurück.

In der gleichen Nacht wälzte ich mich wieder in meinem Bett von einer Ecke in die nächste. Dann hat es mir gereicht :„Hey, martin hier. Woher kennst du mich? und wer bist du? mfg Jonas“, schrieb ich der Nummer und hoffte auf Antwort. Nach 10 Minuten piepte mein Handy. „ich bin es, frank aus frankfurt oder. kennst du mich noch? hatten neulich zusammen schicht. dachte hättest kein handy. aber jetzt auch egal. wie geht es dir. meld dich mal wieder. freu mich.“

Wir schrieben eine ganze Woche durch. Er wollte mich immer sehen, mit mir reden, Ich war aber noch nicht so weit. Keine Ahnung, was mich genau daran gehindert hat. Ich wusste nur, dass ich ihn mag. Das verunsicherte mich so sehr, das ich nun auch noch anfing, meine Arbeit zu vernachlässigen. Ich kam gar nicht mehr klar. Eines Abends gegen 22:00 Uhr piepte wie gewöhnlich mein Handy:
„ich weiß nicht wohin ich gehen soll, meine Eltern haben mich rausgeworfen, weil ich mich in den Falschen verliebt habe.“ - „ich hole dich vom Ostbahnhof ab. kannst erst mal zu mir kommen.“, antwortete ich auf seine verzweifelte SMS.

Als wir beide dann bei mir waren, schauten wir kurz fern. Geredet haben wir nicht wirklich viel. Er ging ins Bad und ich rief hinterher: „Die Luftmatratze lege ich dir raus, genau wie dein Bettzeug!“
„Gut!“, hallte seine tiefe Stimme durch die Badtür. Ich schlief ein. Nachts wachte ich auf. Er lag neben mir im Bett. Ich schaute ihn an, mein Herz raste. Meine Haare stellten sich auf. „Warum liegt er denn jetzt neben mir?“, fragte ich mich. Mein Magen wurde flau. Er sah richtig süß aus, wie er da lag. Ich hörte seinem Atem zu. Ich streichelte mit einer sehr nervösen Hand vorsichtig durch seine schwarzbraunen feinen Haare und fühlte mit meinen Fingerkuppen seine Stirn. Er bewegte sich. „Scheiße“, schoss mir durch den Kopf, „Und nun?“ Er warf seine Decke, welche ich ihm vorher raussuchte, nach unten und kroch unter die meinige. Er legte den Arm um meinen Körper und berührte mich mit seinen Händen auf meiner nackten Haut. Er streichelte mich. Ich küsste ihn auf die Stirn. Anschließen gab er mir einen richtigen Kuss. Dann geschah das Unvermeidliche. Seine Hand rutschte unter meine Taille. Er küsste meine Brust. Den Rest könnt ihr euch ja denken. Ja, ich hatte das erste mal Sex mit einen Jungen.

Ich stand danach auf und musste mir erst mal eine Zigarette anzünden. Es wurde hell. Ich schaute auf die Straße und schaute zu, wie eine Frau einparkte. „Was hab ich da eigentlich gerade getan? Bin ich Bi, oder doch gar Schwul. Ich werde doch jetzt von jedem verstoßen und gehasst.“ Ich weinte still vor mich hin. Dann sagte er sanft: „Es tut mir leid, aber ich liebe Dich. Ich dachte auch erst, ich sei krank, aber es ist, wie es ist…Wir schaffen das!“

Wir zogen zusammen. Keiner, bis auf Sandy, wusste davon. Ich hab mich einfach zu doll vor mir selbst geschämt. „Ich bin einfach nur auf einem Selbstfindungstrip oder so.“ Dachte ich.

Es fing an, richtig schön zu werden. Diese Beziehung gab mir viele Antworten. Antworten und Weisheiten, die mich ein Leben lang begleiten werden, ja sogar solche, die ich mit in mein Grab nehmen werde. Ich hatte mir sogar vorgenommen, meine Eltern darüber zu informieren, über das Leben, was ich gerade führe. Ich wollte einfach jedem zeigen, wie glücklich ich war.
Ich merkte nicht, dass sich Frank immer mehr von mir distanzierte. Ich hatte wohl nicht die Kraft seinen Verlust der familiären Bindung und den Verlust seiner Freunde auszugleichen. Ich war so sehr mit mir selbst beschäftigt, um mich zu finden, um Lösungen und Antworten auf meine Probleme zu finden, die auf einmal da waren, dass ich nicht merkte, wie er vereinsamte. Ich kam noch immer nicht darüber weg, warum ich auf ein mal Jungs mochte. Ich dachte darüber nach, ob Liebe gleich Liebe ist. Er war ab da eigentlich schon verloren. Wir fingen an uns über seine Weltanschauung zu streiten. Ich wollte aber irgendwie nicht wahr haben, dass er total verloren in seiner eigenen Welt ankam. Nach einem halben Jahr Beziehung stand nun alles auf der Kippe. Wir stritten uns so sehr, dass er sich anzog und die Wohnung verließ.
„Ich liebe dich“ rief er vom Flur und schmiss die Tür hinter sich zu und ging. Ich wartete die ganze Nacht vergeblich auf ihn. Die Tür öffnete sich aber nicht. Ich lag die ganze Nacht wach. Da merkte ich zum ersten Mal: „Ich liebe ihn“.

Meine Eltern werden mich tothauen… Warum bin ich so? Ist der Verlust von Johanna der Grund? Bin ich krank? Muss ich immer ein Extrem darstellen? Kann ich nicht einmal so sein wie alle Menschen? Ich will doch nur einmal glücklich sein, lieben und leben, so wie alle Menschen. Ich will doch nur wieder das Gefühl haben,Teil von etwas Ganzem zu sein. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Ich war verzweifelt.
Am nächsten Tag hatte ich Berufsschule. Da ereilte mich eine SMS: „komm bitte so schnell wie möglich nach Berlin, es ist was passiert.“ Ich setzte mich in den nächsten Zug. Ich wusste gleich, das es um Frank geht. In Berlin Ostbahnhof angekommen, wurde ich von einer Arbeitskollegin abgeholt.
Sie hatte Tränen in den Augen. Ich kannte sie nur flüchtig. Frank hatte viel mit ihr zu tun gehabt. Wir liefen zu ihren Auto und setzten uns rein.
„Du musst jetzt stark sein, es ist was schlimmes passiert. Frank ist tot. Er warf sich vor die S-Bahn. Es tut mir leid.“
Ich saß versteinert in ihrem Auto. Ich konnte nichts sagen. Die Luft wurde schwer, ich merkte, wie mein Herz mein Blut durch die Adern pumpte. Meine Hände wurden kalt, mein Körper fing an zu zittern.
Wir fuhren in Richtung zu mir. Ich sollte seine Sachen aus unserer Wohnung holen.
Als ich mit ihr in der Wohnung stand, war es still. Ich rannte ins Bad und übergab mich. Ich suchte seine Dokumente zusammen und händigte sie ihr aus. Dann warf ich sie raus. Es war noch stiller als zuvor. Es war eisig kalt. Ich sah mich im Spiegel und schaute in meine tiefbraunen Augen. Die Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln. Man sah den Schock, dem ich erlegen war. Mir wurde kalt und das Zittern meines Körpers wurde stärker. Mir wurde noch kälter. Ich ging zu seinem Schrank, nahm mir einen gelben Sack und packte seine Kleidung hinein. Ich roch an seinem T-Shirt, was er am Tag zuvor in die Wäsche schmiss. Es roch nach ihm. Ich brach zusammen. Ich schrie. Ich wollte, konnte aber nicht weinen. Der Hass und der Schmerz des Verlustes steckten zu tief.
„Ich bin doch so weit. Ich will jedem zeigen, du bist mein! Jetzt wo alles Logik und Sinn macht, Jetzt gibst du auf.“ Die Gedanken begleiteten mich noch lang. Es tat einfach zu doll weh. Ich war bereit mit ihm den Weg der Liebe zu gehen, ich fühlte mich verraten, ausgenutzt und verletzt. Ich hatte schon ein mal eine Liebe verloren. Jetzt sollte ich schon wieder von vorne anfangen? Ich konnte nicht mehr. Ich war so von dem Menschen enttäuscht.
Ich wusste aber zu dem Zeitpunkt nicht den Grund. Ich wusste nicht, dass er seine Eltern und Freunde für mich aufgab. Sie ließen ihn im stich, weil er schwul war und mich als Freund hatte. Ich wusste auch nicht, dass seine Kollegen ihn deswegen fertig machten. Diese Tatsache tat noch mehr weh.

Eine Woche später rief mich meine Mama an: „Komm nach Thüringen, nach Hause. Wir müssen reden.“
Ich nahm dieses zum Anlass, um abzuschalten, zu verarbeiten, meine Gedanken und Gefühle zu ordnen und zu verarbeiten. In Thüringen angekommen, schrie mich meine Mama an:
„Du bist krank! Deine Chefin hat angerufen. Du warst mit einem Kerl zusammen? Es ist mir scheiß egal, was oben passiert ist und mit wem du rumhurst, aber hier unten bist du „normal“. Ich lass mein Leben nicht durch deinen Lebenswandel zerstören. Geh zum Psychiater. Der wird dir helfen!“
Das ganze Wochenende redete sie nicht mit mir. Meine Brüder aber hingegen hatten ein offenes Ohr für mich. Es half mir unendlich viel, über das Geschehene zu reden. Darüber was war, über das, wie ich mich fühlte. Mein Pa reagierte so wie meine Ma, kein Verständnis für nichts. Sie hatten zu dieser Zeit mehr Angst über ihren Ruf, als über mich.
Oben in Berlin angekommen half mir Sandy. Sie war für mich da. Sie sagte: „Die Zeit bringt Antworten, Lösungen. Es kommt auch wieder der Zeitpunkt, dann funktionierst du auch nicht mehr, du fängst auch wieder an zu leben. Es braucht nur Zeit. Wenn du jetzt aufgibst, bist du wie er, und wie alle anderen. Kämpfe für deine Rechte, es geht und man muss dich akzeptieren müssen. Und wer das in deiner Familie und in deinem Freundeskreis nicht tut, der ist es auch nicht wert, Papa, Mama oder Freund genannt zu werden.“
Sie sollte Recht behalten.

Als ich mit meiner Ma später Philadelphia schaute, fing sie an zu weinen.
„Du nimmst doch Kondome, wenn…?“, fragte sie.
„Ja, so wie er will ich mal nie enden, egal wie toll er ist.“, antwortete ich trocken.
Am nächsten Tag brachte sie mir eine Packung Kondome mit. Ab da an wusste ich, sie akzeptiert mich, wie ich bin.
Auch wenn meine Coming-out-Story nicht die beste ist und sich mein Freundeskreis stark verändert hat, weil nicht alle mit dem „Schwulsein oder Nichtsein“ klar kommen, heißt das noch lange nicht aufgeben. Ich rate jedem, ehrlich zu sich und zu seiner näheren Umgebung zu sein. Ich glaube aber, das ist das wichtigste in einer Gesellschaft. Dies ist ja immerhin auch der wichtigste und stärkste Grundstein einer Beziehung. Nicht jeder wird damit klar kommen, Hauptsache ihr kommt mit Euch klar. Ihr werdet dann sehen, dass sich vieles vereinfacht. Manches wird sich auch verschlechtern. Ihr merkt aber, für was ihr da seid. Wer ihr seid, und warum ihr hier seid.
Ihr werdet merken, wer Freund und wer nicht Freund ist.
Ihr seid auch nicht anders . Ihr lebt und liebt wie alle Menschen dieser Erde. Wir haben alle dieselben existentiellen Sehnsüchte, Bedürfnisse und Wünsche. Nur weil ihr Euch in einer Winzigkeit von anderen unterscheidet, seid ihr nicht weniger wert. Du bist Du und das wird dir auch keiner nehmen. Du lebst jetzt und jede „verlorene Sekunde“ ist unwiederbringlich. Es gibt tausende Wege zum Ziel.
 
 
Nun möchte ich euch ein Gedicht mit auf den Weg geben, welches mich immer auf den richtigen Weg zurückführte:
 
Liebe ist manchmal einfach nur Schmerz
Macht dich traurig, zerreißt dein Herz

Wenn dunkle Wolken die Sonne verhüll´n
Und tausend tränen deine Augen füll`n

Dann ist es Zeit etwas zu überdenken
Sollte man wirklich Liebe schenken?

Auf Antwort wartest du gebannt
Doch ist diese nicht bekannt,

Und obwohl diese Frage immer bleibt
Gibt es etwas, was uns weiter treibt!

Was es ist willst du wissen?
Auch diese Frage musst du missen!

Den Drang zu Lieben und geliebt zu werden
Gab es schon immer auf Gottes Erden.

Und es wird ihn auch weiterhin geben,
denn erst durch ihn spürst du:
 
„Du bist am Leben“
MB Ma-Mi Bla 23.03.2006