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Toni: Wenn ich in die Kneipe gehe, dann wird schon mal getuschelt

Ich komme eigentlich aus dem Rheinland, vom Dorf, noch genauer gesagt vom Bauernhof. Und ich bin damals nach Berlin gegangen, hauptsächlich wegen der schwulen Szene hier. Einfach die Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen, die viel weiter gefasst sind als auf dem Land.

Unterschwellig merke ich schon, wenn ich in eine Kneipe gehe, dass mal so ein bisschen getuschelt wird. Das ist ja auch oft ein Klamottenproblem: Du kannst dich nicht schick kleiden als Dicker. Du bist auf irgendwelche Versandhauskataloge angewiesen, musst dich danach richten, was die so anbieten. Die Leute gehen zunächst auf Distanz zu mir, weil über allem so das Bild des schönen Schwulen schwebt. Und ich glaube, dass die Leute sich schwer tun, sich mit ´nem Dicken zu zeigen, weil sie sich dafür schämen. Also oftmals ist es so, sie finden einen eigentlich ganz nett, aber sie zeigen sich nicht gern mit ´nem Dicken in der Öffentlichkeit, weil es dann heißen könnte: „Du kriegt wohl keinen anderen ab.“ Das ist auch die Erfahrung, die ich gemacht habe. Es gibt ja haufenweise Schlanke, die eigentlich auf Dicke abfahren, sie trauen sich aber oftmals nicht, da aus sich rauszukommen. Das läuft oft eher im Anzeigenwirrwarr der Zeitungen oder so heimlich und in dunklen Ecken, als dazu zu stehen, dass sie auf Dicke abfahren.

Wenn es ans Eingemachte geht, Partnerschaft, Beziehung oder Sexualität zu leben, da machte ich früher oft die Erfahrung, dass die Leute sagten: Du bist ja ein ganz lieber netter Kerl, ich finde dich total klasse, aber du bist mir zu dick. Früher habe ich mich da schon ausgegrenzt gefühlt; das würde ich jetzt nicht mehr so sagen. Wahrscheinlich, weil ich mir ´ne dickere Haut zugelegt habe oder auch mehr Selbstbewusstsein entwickelt habe. Man macht sich ja auch oft selber zum Opfer, indem man sich entsprechend verhält. Und wenn ich mich irgendwo nur in die Ecke stelle und so gucke, dass mich keiner anschaut, dann kriege ich natürlich schnell das Gefühl, ich werde ausgegrenzt, obwohl es gar nicht unbedingt so ist.

In der „Gesellschaft“ habe ich eigentlich heftigere Erfahrungen gemacht als in der Schwulenszene. Da habe ich schon Worte gehört wie „fette Sau“. Und dass mit unterschiedlichem  Maßstab gemessen wird. Wenn ich bei McDonald´s in der Schlange stehe und jemanden aus Versehen schubse, dann heißt es:“ Du kriegst dein Fressen noch früh genug. Du brauchst sowieso nichts.“ Also dass vom Aussehen auf den Charakter geschlossen wird. Was ja noch ganz nett gemeint ist, dieses Bärchenimage, was halt Dicken zugesprochen wird: Immer lieb und nett und brav zu sein, möglichst sich nicht kritisch zu äußern, weil, sie sitzen ja schon als Elefant im Porzellanladen. Also: wenn ich immer schön lieb bin, dann sind die Anderen auch lieb zu mir. Man muss immer ein Stück lieber sein als andere, um das in der Gesellschaft zu kompensieren, was man als Manko mit sich rumträgt. Schon als Kind war ich immer sehr bedacht darauf, besonders lieb zu sein. Meine Schwester kriegte immer gesagt, wie hübsch und niedlich sie  sei, und ich kriegte gesagt: Och, du bist aber ganz schön dick. Willste denn nicht mal abnehmen?  Da steckt ja auch immer das Vorurteil dahinter: Du bist unfähig, oder: Du bist faul. Du willst nicht.

Wenn ich mir die schwule Szene so angucke, dann wünsche ich mir mehr Toleranz und Offenheit. Eigentlich das, was die Schwulenbewegung seit vielen Jahren von der Heterogesellschaft fordert. Das müssen wir in den eigenen Reihen auch praktizieren. Also ich denke, auch die schwule Gesellschaft, wenn man so was überhaupt so bezeichnen kann, die kann ruhig heterogen sein, genauso breitgefächert wie die Heterosexuellen sind, aber mit mehr Toleranz und Offenheit. Dass sich Leute nicht ausgegrenzt fühlen müssen, nur weil sie eben in dem Moment gerade nicht als sexuell attraktiv empfunden werden.

Quelle: Deutsche AIDS-Hilfe e.V.